PNP 27.05.2023 | Stand 27.05.2023, 4:00 Uhr
Wenn Familien das Geld fehlt, sind die Leidtragenden immer die Kinder. Sie frieren, wenn die Mutter die Heizung nicht aufdreht, um zu sparen. Sie haben Hunger, wenn der Kühlschrank leer bleibt. −Foto: Jens Kalaene/dpa
Lkr. Passau. Seit zehn Jahren bekommt Peter Stuiber Einblicke in die Welt derjenigen, die fast nichts haben. In die der alleinerziehenden Mütter, die arbeitslos sind. In die von Frauen, die Unterschlupf im Frauenhaus gefunden haben, mit ihren Kindern aber vor dem Nichts stehen, wenn sie dort ausziehen. In die des Vaters, der alleine mit den Kindern da steht, nachdem die Mutter in die Drogenszene abgetaucht ist.
Peter Stuiber ist Vorsitzender des Hilfsvereins Kinderhilfe Holzland in Haarbach, der sich für Familien mit kranken oder behinderten Kindern und von Armut betroffene Familien einsetzt. Wenn es vor Corona zehn bis 15 Anfragen pro Monat waren, sind es mittlerweile 30 Anfragen im Monat, erzählt er in der alten Schule in Haarbach, wo der Verein ein Büro hat. „Es kommen viele, die vorher über die Runden gekommen sind und jetzt ins Wanken geraten. Die Zahl ist extrem gestiegen, gerade seit Corona“, informiert er. Der Verein finanziert sich über Spenden. 400000 Euro pro Jahr werden an Familien in Not weitergegeben.
Verein unterstützt 150 Familien aus Stadt und Land
Die Leidtragenden sind immer die Kinder. Sie frieren, wenn die Mutter die Heizung nicht aufdreht, um Kosten zu sparen. Sie gehen ohne Winterjacke zur Schule, wenn die Mutter ihnen keine Kleidung kauft. Sie haben Hunger, wenn der Kühlschrank leer bleibt. Sie werden in der Schule gemobbt, wenn sie nicht lernen, dass man sich regelmäßig duscht.
Der Verein unterstützt derzeit 150 Familien aus Stadt und Landkreis Passau. „Wir fahren zu jeder Familie heim, um uns ein Bild zu machen“, sagt Peter Stuiber. Dann wird über Hilfen entschieden. Strom oder Miete zahlt der Verein nicht – er hilft aber mit Einkaufsgutscheinen zum Beispiel für Lebensmittel und Möbel. 70 Prozent der Familien, die Hilfe brauchen, bestehen aus einer alleinerziehenden Mutter mit Kindern, viele von ihnen mit Migrationshintergrund, berichtet Stuiber. Patchworkfamilien, Arbeitslosigkeit, zerrüttete Familien, Missbrauch in den Familien – all das hat Peter Stuiber schon mitbekommen.
Er erzählt von Fällen, die er immer wieder so erlebt: Eine Familie aus Osteuropa, die seit 15 Jahren im Landkreis Passau lebt. Die Ehe geht in die Brüche, der Mann kehrt ins Heimatland zurück, die Frau mit den Kindern bleibt hier – spricht aber kaum ein Wort Deutsch und ist nicht in die Gesellschaft integriert. Geld ist auch keins da und wie man einen Antrag auf Unterstützung stellt, davon hat sie keine Ahnung, auch weil sie sozial isoliert ist, keine Freunde hat.
Dann gibt es die alleinerziehenden Frauen mit Kindern von unterschiedlichen Partnern, von denen aber keiner Unterhalt zahlt. „95 Prozent der Männer drücken sich zu zahlen“, so die Erfahrung von Peter Stuiber, „dann droht die Schuldenfalle für die Frauen.“
Eng wird es im Geldbeutel auch, wenn ein Elternteil stirbt oder ein Kind schwer krank wird und ein Elternteil zur Pflege daheim bleiben muss. Wenn die Waschmaschine kaputt geht oder das Kind auf Ausflug fahren soll und 400 Euro zusätzlich anfallen, können die Familien das nicht stemmen, weil sie keine Rücklagen haben.
Auch wenn die äußeren Umstände oft unverschuldet sind, Stuiber bleibt Realist: „Alleinerziehende verlassen sich sehr auf den Staat, sind psychisch auch oft angeschlagen.“ Die Mütter würden sich nicht die Mühe machen zu kochen, obwohl sie den ganzen Tag daheim sind, und stellen den Kindern nur Fertiggerichte aus der Mikrowelle hin. Deshalb glaubt er auch: „Die Grundsicherung zu erhöhen ist schön – aber das müsste besser auf die Kinder zugeschnitten werden. Wenn die Mütter dann wieder nur Fertiggerichte kaufen statt selbst zu kochen, ist nichts gewonnen.“
Dass derzeit ein Nebenjob auf die Bürgergeld-Zahlungen angerechnet wird, kritisiert er. „Viele kommen deshalb nicht aus der Situation raus, weil es ihnen zu leicht gemacht wird. Wir sollten die unterstützen, die rauskommen wollen. Sie brauchen Ansporn und müssen sehen, dass es sich lohnt, auch arbeiten zu gehen.“
„Auch wenn einige Familien an ihrer Lage selbst schuld sind, die Kinder können nichts dafür. Ihnen muss man helfen.“ Seit Corona gibt es in der alten Schule eine Kleiderkammer. In Kisten sortiert gibt es dort für bedürftige Familien Schuhe und Kleidung für Kinder, neu oder gebraucht. Stuiber hat eine weitere Idee: „Kinder müsste man über die Schule gezielter unterstützen, über die Nachmittagsbetreuung etwa. Man muss sie mehr wegbringen von den Eltern. Wie sollen sie sonst ein erfolgreiches Leben führen?“