Sie helfen Familien mit behinderten Kindern

PNP 27.05.2023 | Stand 27.05.2023, 4:00 Uhr

Einmal pro Woche kümmert sich Martina Dirndorfer um den kleinen Maxi, um dessen Eltern zu entlasten. −Foto: privat

Von Sibylle Neumeier

Witzmannsberg/FRG. Kinderbetreuung ist für viele Familien herausfordernd, kostet oft Geduld, Kraft und Nerven, aber auch viel Organisations- und Improvisationstalent. Noch viel fordernder ist das für Eltern behinderter Kinder, weil hier oft nicht einfach die Oma oder die Nachbarin zum Babysitten kommen kann, da die ganz speziellen Bedürfnisse behinderter Kinder sie überfordern würden. Hier springen die „Specialsitters“ zur Seite, übernehmen Nachtdienste, Kindergarten- und Schulbegleitungen und entlasten Familien beim ohnehin oft belastenden Leben mit einem beeinträchtigten Kind.


Mit drei Stunden pro Monat ging es für „Specialsitterin“ Martina Dirndorfer los, als sie gefragt wurde, ob sie in einer Familie mit einem behinderten Kind bei dessen Betreuung helfen wolle. Die 54-Jährige weiß, wovon sie spricht, hatte selbst Jahrzehnte mit einer schwer behinderten Tochter gelebt. „Ich habe das alles selber erlebt und möchte mein Wissen diesen Familien weitergeben“, beschreibt Martina Dirndorfer ihre Motivation, für die private Pflegeeinrichtung „Specialsitter“ zu arbeiten.

Mitarbeiter „mit Lebenserfahrung“ gesucht

Als ihre Tochter vor vier Jahren starb, fühlte es sich für sie einfach nicht richtig an, „irgendwo im Verkauf oder so“ zu arbeiten. Sie wollte Betroffenen die Unterstützung geben, die auch ihre Familie im Leben mit einem schwerst behinderten Kind oft dringend nötig gehabt hätte. Sie bewarb sich bei Einrichtungen, die mit behinderten Menschen arbeiten – allerdings ohne Erfolg, denn eine entsprechende Ausbildung hat die Witzmannsbergerin nicht. Viel Wissen über das Leben mit einem schwerst behinderten Kind allerdings schon. Diese „Lebenserfahrung aufgesaugt“ hat sie auch durch den Kontakt mit vielen anderen Betroffenen. „Ich kenn’ jeden Kinderarzt, kenn’ alle Ansprechpartner, alle Stationen der Kinderklinik, ich weiß einfach, wie herausfordernd es ist, mit einem behinderten Kind zu leben.“

Per Zufall erfuhr sie von den „Specialsittern“, die Menschen „mit Lebenserfahrung“ für den Betreuungsdienst für Familien mit behinderten Kindern und Jugendliche suchten. Und es stellte sich heraus: „Da war ich genau richtig“, erzählt die quirlige Witzmannsbergerin. Es wurde jemand gesucht, der ein behindertes Kleinkind drei Stunden pro Monat versorgt und betreut. Das war vor zwei Jahren. Mittlerweile ist Martina Dirndorfer mit Stefanie Gründinger, einer Intensivkrankenschwester, Standortleitung in der Region Passau.

Rund 50 Familien sind es, die inzwischen die Hilfe der „Specialsitter“ in der Region Passau und Freyung-Grafenau in Anspruch nehmen und „einfach heilfroh sind, wenn wir kommen“. Es gibt Sitter, die Kinder täglich in die Schule begleiten, andere wiederum unterstützen Familien nach deren Bedürfnissen zu Hause, mal übers Wochenende, mal über Nacht oder einfach nur, wenn ein Arzttermin ansteht.


Da die Kinder meist einen Pflegegrad haben, werden die Betreuungskosten häufig über das entsprechende Budget der „Verhinderungspflege“ über die Krankenkassen abgerechnet. „Wir sind aber sehr froh über das Engagement der Kinderhilfe Holzland“, erzählt Martina Dirndorfer. Hier springt man oft Fällen zur Seite, wo die Hilfsangebote nicht greifen, wo Kassen oder Versicherungen die Kosten nicht übernehmen.

„Ich hätte mir damals auch oft einen Ansprechpartner für jegliche Fragen gewünscht, die man mit einem behinderten Kind hat“, meint Martina Dirndorfer rückblickend. Doch damals war der Dienst in der Region noch nicht vertreten. Angebote von gemeinnützigen Organisationen – „die auch supergute Arbeit leisten“, wie Martina Dirndorfer betont – konnten oft die speziellen Bedürfnisse nicht abdecken. „Unser Dienst deckt eine Bedarfslücke im Leben mit behinderten Kindern“, ist die Einsatzleiterin überzeugt. Denn: „Wir kommen auch kurzfristig und notfallmäßig“, rund um die Uhr oder für mehrere Tage, auch, um betroffenen Eltern ein bisschen ungestörte Freizeit zu ermöglichen. Die Vermittlung laufe ganz unbürokratisch. Mittlerweile können Martina Dirndorfer und ihre Kollegin über 30 Mitarbeiter an Familien in der Region vermitteln. Im Pool arbeiten Minijobber und Teilzeitkräfte, zu 80 Prozent qualifizierte Fachkräfte – Kinderpfleger, Krankenschwestern, Intensivpflegekräfte, Heilerziehungspfleger, aber auch Menschen mit Lebenserfahrung, so wie Martina Dirndorfer.


Generell gelte, dass jede Familie den für ihre individuellen Bedürfnisse passenden Sitter bekommen soll. Ein erstes Kennenlernen zwischen Familie und möglichem Betreuer ist kostenlos und steht immer am Anfang. Und die Specialsitter sind angehalten, „so zu arbeiten, wie die Eltern es wünschen“. Denn man wolle entlasten, und nicht das eingespielte Leben in den Familien komplett umkrempeln. „Für die Betroffenen ist es nur wichtig, dass sie ihr Kind gut versorgt wissen.“

Feste Bezugsperson oder kurzfristiger Einsatz möglich

Egal, ob kurzfristige Notfalleinsätze, regelmäßige Unterstützung durch feste Bezugspersonen oder Betreuung tagsüber, nachts oder am Wochenende, Hilfestellung und Begleitung jeglicher Art: „Wir schauen immer, dass wir es möglich machen. Und in den meisten Fällen klappt das auch“, freut sich die Specialsitterin, obwohl auch „wir keine Wundermenschen sind. Doch wir haben schon vielen Familien helfen können“.


Für Martina Dirndorfer schließt sich in ihrem Engagement bei den Specialsittern ein Kreis: Ein Lachen und ein Danke genügen ihr. Ihr Leben mit ihrer behinderten Tochter habe so noch einmal einen ganz neuen Sinn bekommen.

Betroffene aus den Regionen Passau und Freyung-Grafenau können sich an die Specialsitter Martina Dirndorfer, ✆0179/ 5355497, oder Stefanie Gründinger, ✆0170/1860132, wenden.